Im Gespräch mit Tim Berndt, einem PAL-Beiratsmitglied und Geschäftsführer der Wirtschaftsinitiative Lausitz e. V. (WiL), erfahren wir, wieso er denkt, dass die Strukturwandelregion Lausitz auch Chancen-Region ist und wieso die Vernetzungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft für Innovationen und Wertschöpfung so essenziell sind.

Was begeistert Sie ‒ beruflich wie auch persönlich ‒ am Thema „Arbeit in der Lausitz“?

Tim Berndt: Das Thema „Arbeit in der Lausitz“ ist die Hauptaufgabe des Wirtschaftsinitiative Lausitz e. V. (WiL) seit seiner Gründung im Jahr 2009 und auch mein großes Interesse: Wir setzen uns dafür ein, dass Arbeit und Wirtschaft hier gut sind und noch besser werden. Aus diesem Grund bin ich auch von Berlin in die Lausitz gezogen, weil es hier attraktive Berufe und Berufsfelder gibt.

Blickt man auf die Landkarte unserer Bundesrepublik, so ist die Lausitz eine Region, die wirklich reich beschenkt ist mit gleich mehreren Wirtschaftsförderprogrammen. Es fließen Mittel in die Lausitz, die einzig und allein für sie gedacht sind. Und auch die Politik setzt sich aktiv für ihre Verwendung ein.

Aus diesem Grund empfinde ich die Strukturwandelregion als eine echte „Chancen-Region“. Diese Chancen muss man richtig, d. h. zielgerichtet nutzen. Wir alle wissen, dass Geld allein nichts nutzt. Entscheidend ist, wie daraus etwas Gutes für den Strukturwandel gelingen kann. Diese Fördermittel sind für gute, für sinnvolle und sinnstiftende Dinge im Sinne der Lausitz gedacht. Und genau hier setzt die WiL an.

Tim Berndt, Geschäftsführer der Wirtschaftsinitiative Lausitz e.V. (WiL)

Die „Wirtschaftsinitiative Lausitz“ verfügt über ein Netzwerk von Eisenhüttenstadt bis Zittau. Wer sind Ihre Partner:innen und in welchen Bereichen agieren sie?

Tim Berndt: Die direkten Partner:innen unserer regionalen Aktions- und Netzwerkplattform sind in erster Linie alle Vereinsmitglieder. Da die „Wirtschaftsinitiative Lausitz“ branchenmäßig stark gewerblich-technisch ausgerichtet ist, setzt sie sich logischerweise auch aus Unternehmen der Region zusammen ‒ vom Kleinstbetrieb, der insgesamt aus vier Personen besteht, bis hin zu den „Big Playern“ BASF und LEAG, die den Strukturwandel prägen. Da wir länderübergreifend aktiv sind, zählen unserer Kerngruppe zudem Kommunen in Sachsen und Brandenburg wie auch die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU-CS) und Hochschule Zittau-Görlitz (HSZG). Die Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie die Handwerkskammer (HwK) in Cottbus und Dresden zählen überdies zu unseren langjährigen Partnern.

Darüber hinaus wirken wir als WiL zusammen mit Vertreter:innen des Bundesverband mittelständische Wirtschaft e. V. (BVMW), Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft Global Economic Network e. V. (BWA), Unternehmerverband Brandenburg-Berlin e. V. (UVBB), Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg e. V. (UVB) in der sog. „Verbänderunde“ mit.

Was unsere staatlichen Partner:innen betrifft, werden wir u. a. von der Wirtschaftsförderung Land Brandenburg GmbH (WFBB), Wirtschaftsregion Lausitz GmbH (WRL) und Sächsische Agentur für Strukturentwicklung GmbH (SAS) unterstützt.

Mit den Lausitzer Landkreisen und der kreisfreien Stadt Cottbus arbeiten wir sehr eng zusammen.

PAL verbindet Wissenschaft mit Wirtschaft. Worin sehen Sie hier das Potenzial für die Strukturwandelregion Lausitz?

Tim Berndt: Grundsätzlich gilt für mich, dass das Innovationspotenzial eines Landes oder einer Region auf der Verknüpfung von Wissenschaft und Wirtschaft beruht. Die Herausforderungen, die der Strukturwandel in der Lausitz mit sich bringt, können ohne Innovationen der ‒ international vernetzten ‒ Wissenschaft nicht bewältigt werden. Innovationsträger an Hochschulen und in Betrieben sind keine Selbstläufer, sondern entscheiden perspektivisch über die Wettbewerbsfähigkeit und Wertschöpfung von Unternehmen.

Die Universitäten sind dabei ein wichtiger Taktgeber und nicht zu unterschätzender Fachkräfte-Pool. Um Innovationen voranzutreiben und auch zu realisieren, muss ganz klar der Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft gelingen.

Wissenschaft darf nicht im Elfenbeinturm stattfinden und Wirtschaftstransfer soll nicht als „notwendiges Übel“ angesehen werden: Wissenschaft und Wirtschaft müssen sich als Teil einer auch regionalen Wertschöpfungskette begreifen ‒ bei PAL für die Strukturwandelregion Lausitz ‒, die tatsächlich liefern muss. Dazu muss vor allem die Prozessgeschwindigkeit an den Universitäten erhöht werden.

Was hat Sie dazu bewegt, im Gremium des Kompetenzzentrums „PAL ‒ PerspektiveArbeit Lausitz“ (PAL) aktiv zu werden?

Tim Berndt: Kurz gesagt ‒ das ist die DNA der WiL: Wir arbeiten für den Transfer zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Damit bringe ich mich in „PAL“ ein. Denn gute Kommunikation ist die Grundlage jeder Kooperation.

Die Themen „Arbeit“ und „die digitaler werdende Welt“ schließen den Begriff der „Fachkräfte“ mit ein, von dem meiner Ansicht nach der direkte Erfolg des Strukturwandels in der Lausitz abhängen wird.

Digitale Werkzeuge können uns beim Thema „Fachkräftesicherung“ dabei helfen, die Arbeitszeit produktiver auszugestalten, indem sie zeitraubende Arbeitsschritte verringern und sie Aufgaben erledigen lassen, mit denen sie ursprünglich betraut wurden.

Digitalisierung sehe ich auch insofern positiv, da sie es in einigen Bereichen ermöglicht, um Fachkräfte, die in anderen Regionen oder auch Teilen der Welt leben, durch entsprechende virtuelle Lösungen bei Unternehmen der Region einzusetzen.

Welche Inhalte, die in PAL erzielt werden, nehmen Sie durch Ihre Arbeit bislang wahr?

Tim Berndt: Als Beirat und durch die gute Vernetzung der WiL mit der BTU wie auch HSZG bekomme ich selbstverständlich viel vom „Kompetenzzentrum PAL“ mit. Seine universitären Schwerpunkte in der Arbeitsforschung, bzgl. Technikstress oder datenbasierten Assistenzsystemen kenne ich. Die großen Schlagworte wie „KI“ und „Digitalisierung“ sind „Insider-Themen“, denen ich seit Längerem ‒ auch aus persönlichem Interesse ‒ gerne und intensiv auf den Grund gehe, da sie für unsere Wirtschaft relevant sind.

Wie beurteilen Sie folgende Aussage von Věra Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission: „Der Weg zur vollständigen Verwirklichung der Ziele der digitalen Dekade ist noch lang.“

Tim Berndt: Vor Kurzem besuchte ich Estland. Der baltische Staat gilt europaweit als digitales Musterland und ist für seine Online-Dienstleistungen in der öffentlichen Verwaltung bekannt. Als ich vor Ort war, erlebte ich Begeisterung und Bestürzung zugleich, denn ich musste unweigerlich an unser Land denken: „Eine papierlose Verwaltung in Deutschland? Undenkbar.“

Ich habe mich gefragt: „Wie hat Estland diesen digitalen Wandel hinbekommen?“ Man sagte mir, dass sich Estland nach dem Fall des Eisernen Vorhangs neu aufbauen musste, sozusagen eine Art „Stunde Null“ für diesen Staat. Die Schaffung neuer Infrastrukturen wurde dort auch durch den Ausbau digitaler Ressourcen realisiert.

Was nun die digitale Transformation in Deutschland betrifft, hat es bei uns keine vergleichbare „Stunde Null“ gegeben. Die gewachsenen und immer weiter wachsenden Strukturen hemmen m. E. sämtliche Digitalisierungsstrategien. Wir leiden an einer gesetzgeberischen, sowohl qualitativen als auch quantitativen „Überregulierung“, die gleichzeitig eine weitgehend analoge, unterdigitalisierte Verwaltung überfordert.

Realistisch betrachtet ist die Aussage von Věra Jourová ein Euphemismus. Unser Alltag in Deutschland ist nach wie vor wenig digitalisiert. Flächendeckendes schnelles Internet, eine ebensolche Funknetzabdeckung oder bargeldlose Bezahlmöglichkeiten sind immer noch nicht obligatorisch. Papierlose Verwaltung mit KI-gestützten, durchgehenden, digitalen Workflows und User Interfaces sind hierzulande eine ferne Zukunftsvision.

In der Lausitz sind viele Industriebetriebe angesiedelt. Von der Stahl- und Chemieproduktion über Elektronik- wie auch Automotive-Dienstleister bis hin zu Entwicklern von neuen Technologien. Sind die dortigen Unternehmen Ihrer Meinung nach fit genug für den digitalen Wandel?

Tim Berndt: Selbstverständlich sind große Player Taktgeber der Digitalisierung in der Lausitz. Doch die Umsetzung von Digitalisierungsstrategien hat nicht zwangsläufig immer etwas mit der Größe eines Unternehmens zu tun.

Häufig stelle ich fest, dass die Schaffung von personellen Ressourcen für Digitalisierungsstrategien in Betrieben mit ihren Innovationen in Korrelation steht. Etwas überspitzt läuft das momentan so in vielen Betrieben: Was macht ein Unternehmen innovativ? ‒ Wenn sich jemand darum kümmert. Schwer genug, denn der Großteil der Lausitzer Unternehmen hat eine einstellige Anzahl von Mitarbeitenden. Da ist allein der Chef für Innovationsthemen zuständig und der hat dafür vor lauter operativen Anforderungen nur freitags ab 16:00 Uhr Zeit. Wenn die Unternehmen groß genug sind, haben sie mehr Möglichkeiten, um Innovationen voranzutreiben und das operative Geschäft mal zur Seite zu legen.

Welche Gedanken verbinden Sie mit „Digitaler Transformation“, „Arbeitsforschung“ und „menschengerecht gestaltete KI“?

Tim Berndt: Für mich sind die genannten Begriffe absolute Neigungsthemen, die extrem wichtig sind und ein unglaubliches Potenzial haben. Wir in Deutschland sind bei diesen Themen jedoch bereits jetzt zu weit ins Hintertreffen geraten.

Nun müssen wir es schaffen, sie vom „Nice-to-Have“ in ein „Must-Have“ umzuwandeln. In Hinblick auf unsere demografische Entwicklung und aus Sicht der Fachkräftesicherung müssen wir Lösungen für Digitalisierungsstrategien in Unternehmen entwickeln und einsetzen ‒ nicht als Option, sondern aus reiner Notwendigkeit.

Welche Wünsche haben Sie für PAL?

Tim Berndt: Für PAL wünsche ich mir, dass es möglichst fassbare Anwendungen und Ergebnisse von der Wissenschaft Hand in Hand mit der Wirtschaft hervorbringt.

Unternehmer:innen müssen die Ergebnisse, die in bzw. durch „PAL“ gewonnen werden, als das wahrnehmen, was dem Betrieb, seiner Belegschaft und der Führung hilft. Diese Unterstützung und Entlastung, positive Effekte, führen dann dazu, dass sich Unternehmer:innen untereinander austauschen und weitere Partner:innen für „PAL“ gewinnen lassen.

Zudem ist es wünschenswert, PAL-Informationen zielgruppengerechter zu streuen, indem bspw. eruiert wird, mit welcher Information man wen genau erreichen will und für wen „PAL“ das alles macht.

Das Interview wurde am 04.12.2023 telefonisch geführt.

Autor / Autorin

  • Projektmitarbeiter beim GVFB e. V. Elsterwerda; Transfer und Öffentlichkeitsarbeit im PAL-Projekt

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