Die voestalpine AG ist ein Stahl- und Technologiekonzern, für den weltweit rund 50.000 Menschen arbeiten. Bei der voestalpine Wire Germany GmbH am Standort Finsterwalde sind aktuell 162 Mitarbeitende tätig. In welcher Form haben Ihre Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit, sich aktiv und partizipativ in die Weiterentwicklung des Unternehmens einzubringen?

Diego Alex: Seit rund zwei Jahren können unsere Mitarbeitenden durch die Web-Anwendung „myIDEA“ Ideen und Vorschläge einreichen, um Prozesse in unserem Betrieb zu verbessern und weiterzuentwickeln.

Wird die Web-Anwendung konzernweit eingesetzt?

Diego Alex: Unser Ideenmanagementtool stellt eine divisionale Lösung dar und ist derzeit in Deutsch und Englisch verfügbar, wobei es zukünftig mehrsprachig aufgebaut sein wird. Am Standort Finsterwalde gibt es eine hauptverantwortliche Person, die „myIDEA“ verwaltet.

Diego Alex: Head of Information Technology Management bei der voestalpine Wire Germany GmbH in Finsterwalde

Wie gelingt die Mitbestimmung von Mitarbeitenden bei voestalpine in Finsterwalde?

Diego Alex: Um unser Unternehmen gemeinsam voranzubringen, ist die Mitwirkung möglichst vieler – idealerweise aller – Kolleginnen und Kollegen entscheidend. Damit alle Mitarbeitenden ihre Ideen und Vorschläge einbringen können, wurden zunächst geeignete Voraussetzungen geschaffen: Während die Büroangestellten von ihrem PC-Arbeitsplatz auf „myIDEA“ zugreifen können, wurde für die Kolleginnen und Kollegen in der Produktion – also ohne festen PC-Arbeitsplatz – ein eigener Zugang im KVP-Raum (Raum für den kontinuierlichen Verbesserungsprozess, Anm. d. Verf.) eingerichtet. So wird sichergestellt, dass sie sich auch unter fairen und praktikablen Bedingungen beteiligen können.

Wie gestaltet sich der interne Prozess zur Prüfung und Bewertung der eingereichten Ideen und Verbesserungsvorschläge?

Diego Alex: Der Bearbeitungsprozess von Verbesserungsvorschlägen ist in mehrere Schritte untergliedert: Zunächst beschreibt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter in „myIDEA“ den IST-Zustand, z. B. eine Problematik, aus dem ein SOLL-Zustand und mögliche Lösungsansätze abgeleitet werden. Im nächsten Schritt erfolgt die automatische Information über den Vorschlag an die zuständige Führungskraft. Sie ordnet dann die Empfehlung einer passenden Kategorie zu, sodass diese im Anschluss vom entsprechenden Fachbereich geprüft werden kann. Die Bearbeitung des jeweiligen Fachbereichs erfolgt am Standort Finsterwalde in enger Abstimmung mit der für „myIDEA“ verantwortlichen Person.

Dabei werden mehrere Aspekte des Verbesserungsvorschlags systematisch analysiert: Erstens nach Relevanz und Themenzuordnung: Welchem Bereich gehört der Vorschlag an und ist dieser inhaltlich von Bedeutung? Zweitens nach Nutzen und „Impact“: Welchen positiven Effekt hat die Umsetzung? Drittens nach Kosten und Einsparpotenzialen: Welche finanziellen Auswirkungen sind zu erwarten, verursacht der Vorschlag Kosten oder spart er welche ein? Und viertens nach zeitlichen Rahmenumständen: Wie viel Zeit erfordert die Umsetzung und lässt sich der Vorschlag sinnvoll in bestehende Projekte oder Abläufe integrieren? Am Ende des Prozesses kann eine eingereichte Idee angenommen, überarbeitet oder auch abgelehnt werden.

Alle eingegangenen Vorschläge durchlaufen dabei stets ein Vier-Augen-Prinzip sowie ein internes Monitoring System, um eine fundierte und v. a. faire Bearbeitung jedes Verbesserungsvorschlags sicherzustellen. Die Person, die einen Vorschlag eingereicht hat, wird durch die Web-Anwendung über den aktuellen Stand der Bearbeitung informiert.

In welcher Form wird das Engagement der Ideengeberinnen und Ideengeber in Ihrem Unternehmen gewürdigt oder honoriert?

Diego Alex: Nachdem die oben genannten quantitativen und qualitativen Analysen des Verbesserungsvorschlags abgeschlossen sind und die Optimierung durchgeführt wurde, erhalten Mitarbeitende bzw. Mitarbeitenden-Teams eine Prämie, die sich prozentual an den eingesparten Kosten ausrichtet. Auch bekommen Mitarbeitende bei uns eine kleine, ausgleichende Prämie für Verbesserungsvorschläge, die abgelehnt wurden. Damit wollen wir unsere Kolleginnen und Kollegen darin bestärken, „myIDEA“ weiterhin zu nutzen und neue Ideen einzureichen.

Intern gibt es Evaluationen zu Rückmeldungen und zum Ideenmanagement-System, damit wir perspektivisch Mitarbeitende für „myIDEA“ gewinnen, die noch keinen Verbesserungsvorschlag eingereicht haben. Jede:r Vorgesetzte hilft dabei mit, um für diese Mitarbeitenden Hürden abzubauen.

Welche Erfahrungen konnten Sie als Mitarbeiter von voestalpine Wire Germany mit dem Einsatz von „myIDEA“ sammeln?

Diego Alex: Durch das Tool werden wir als Mitarbeitende von voestalpine direkt miteinbezogen und motiviert, damit wir uns aktiv ins Unternehmen einbringen, seine Prozesse mitgestalten und verbessern. Wenn sich nun aus den eingereichten Vorschlägen ein wirtschaftlicher, quantitativer oder qualitativer Nutzen ergibt, führt dies idealerweise zu Kostensenkungen für unseren Betrieb. An diesen Einsparungen werden wie gerade erwähnt einzelne Mitarbeitende oder Teams, die Verbesserungen genannt haben, beteiligt. Am Standort Finsterwalde konnten wir mit „myIDEA“ positive Erfahrungen sammeln: Im Arbeitsjahr 2022/2023  wurden 142 Vorschläge eingereicht, sodass rund 32.000 Euro in Prämien an Mitarbeitende ausgezahlt werden konnten. Im Arbeitsjahr 2023/2024 wurden zwar weniger Verbesserungsvorschläge eingereicht, 96 Stück, jedoch waren diese qualitativ gut durchdacht, sodass rund 26.000 Euro in Prämienausschüttungen flossen.

Können Sie ein Beispiel nennen, wie das Tool konkret zur Verbesserung von Produktionsprozessen beigetragen hat?

Diego Alex: Durch Verbesserungsvorschläge, die mit „myIDEA“ eingereicht worden sind, konnten Kosten deutlich verringert werden. So führten Anmerkungen zu Optimierungen zum einen dazu, dass bei einer größeren geplanten Instandsetzungsmaßnahme in unserem Betrieb ein Beizkran-System nicht komplett erneuert werden musste, sondern lediglich ein Teil seines Schienenlaufs getauscht wurde. Zum anderen konnten wir durch Hinweise Arbeitsanweisungen für Mitarbeitende digitalisieren, sodass jeder Kollegin und jedem Kollegen eine aktuelle und vor allem schnell verfügbare Version unserer Arbeitsanweisungen vorliegt.

Welche partizipativen Methoden kommen in PAL-Praxisprojekt 8 beim Entwicklungs- und Testprozess von datenbasierten Assistenzsystemen zum Einsatz?

Diego Alex: Zu Beginn des PAL-Praxisprojekts 8 war uns bewusst, dass Entwicklung und Erprobung von datenbasierten Assistenzsystemen eng an die realen Bedingungen und Möglichkeiten unseres Unternehmens angepasst sein müssen. Dabei stand und steht eines für uns immer im Vordergrund: Die Kernarbeit im Betrieb darf nicht darunter leiden. Um gemeinsam mit unseren wissenschaftlichen Partner:innen von der TU Dresden praxistaugliche und sinnvolle Lösungen zu entwickeln, haben wir von Anfang an auf eine partizipative Herangehensweise gesetzt. Durch Interviews mit Mitarbeitenden aus verschiedenen Tätigkeitsbereichen haben wir gezielt Informationen zu Arbeitsabläufen und Anforderungen an datenbasierte Assistenzsystemen gesammelt. Diese Rückmeldungen waren vielfältig und aufschlussreich: In der Qualitätssicherung lag der Fokus insbesondere auf dem Wunsch nach einer datenschutzkonformen Softwarelösung für die Verarbeitung von Messwerten. In der Produktion wiederum wurde der Bedarf deutlich, papierbasierte Dokumentationsprozesse zu reduzieren und monotone Tätigkeiten mithilfe von datenbasierten Assistenzsystemen zu automatisieren oder zu erleichtern.

Welche Vorschläge oder Impulse haben Sie für ein Unternehmen, das seine Weiterentwicklung partizipativ ausgestalten möchte?

Diego Alex: Mit der Einführung der Web-Anwendung „myIDEA“ hat sich bei voestalpine in Finsterwalde eine äußerst positive Entwicklung ergeben. Zum einen ist eine enge und effektive Zusammenarbeit zwischen Prozessplanung und ‑umsetzung entstanden, die zuvor in dieser Qualität nicht vorhanden war. Diese Kooperationsbereitschaft führt zu einem gegenseitigen Verständnis und reibungsloseren Abläufen.

Die Web-Anwendung als partizipatives Ideenmanagementsystem fördert darüber hinaus ein wachsendes Vertrauen zwischen den Mitarbeitenden und stärkt ihre Identifikation mit dem Unternehmen. Dieses zunehmende Vertrauen und die daraus resultierende Motivation stellen meiner Meinung ein besonders wertvolles Potenzial dar.

Auch wenn nicht alle Verbesserungsvorschläge der letzten zwei Jahre umgesetzt werden konnten, zeigte sich, dass sich unsere Mitarbeitenden dadurch nicht entmutigen lassen. Im Gegenteil: Die Qualität der eingereichten Ideen hat spürbar zugenommen. Es sind zunehmend langfristige, durchdachte und innovative Beiträge, die das Unternehmen voranbringen.

Mein Fazit: Wer auf der Suche nach nachhaltiger Prozessoptimierung und wirksamen Verbesserungsvorschlägen ist, sollte auf partizipative Methoden setzen. Sie schaffen nicht nur bessere Abläufe, sondern auch ein starkes Miteinander für die Zukunft eines Unternehmens.

Vielen Dank für das gemeinsame Gespräch.

Autoren / Autorinnen

  • Projektmitarbeiter beim GVFB e. V. Elsterwerda; Transfer und Öffentlichkeitsarbeit im PAL-Projekt

  • Head of Information Technology Management bei der voestalpine Wire Germany GmbH in Finsterwalde. In PAL-Praxisprojekt 8 treibt er zusammen mit der TU Dresden die Integration von datenbasierten Assistenzsystemen im Unternehmen voran.

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