„Ich wünsche mir eine Art weltoffenen Lokalpatriotismus“ – Laura Staudacher von der Jungen Lausitz über die Chancen des Strukturwandels für ihre Heimat, Ideen des Vereins, mit denen die Attraktivität der Region erhöht werden könnte und die Realität, der sich lokale Arbeitgeber stellen müssen.

Im Strukturwandelprojekt PerspektiveArbeit Lausitz (PAL) geht es darum, Unternehmen bei der Einführung datenbasierter Assistenzsysteme und KI-Anwendungen zu unterstützen. Wie wichtig ist aus Deiner Sicht die Digitalisierung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in Deiner Heimat?

Laura Staudacher: Für die vielen kleinen und mittleren Unternehmen in der Lausitz ist sie enorm wichtig. Oftmals haben KMU nicht die internen Ressourcen für Digitalisierungsprozesse und benötigen deshalb Unterstützung von außen. Die Digitalisierung hilft ihnen nicht nur dabei, produktiver zu werden, sondern auch, als Arbeitgeber attraktiv für jungen Menschen zu sein, die in der Region einen Arbeitsplatz suchen, der sich beispielsweise mit spannenden Zukunftstechnologien beschäftigt.

Laura Staudacher, Vorsitzende Junge Lausitz

Wie wichtig ist es jungen Menschen, dass ihre Arbeitgeber technologisch fortschrittlich und digital aufgestellt sind?

Laura Staudacher: Junge Menschen erwarten, dass Unternehmen die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen und keine unnötigen Papierberge produziert werden. Klar ist, dass die Lausitz nicht mit den Unternehmen in den Metropolen mithalten kann – und das vielleicht auch gar nicht muss. Trotzdem oder gerade deshalb müssen sich Unternehmen in der Lausitz Gedanken machen, was sie anbieten können, wie sie ein modernes digitales Arbeitsumfeld schaffen, eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine Work-Life-Balance gewährleisten, die zum Beispiel Raum für ehrenamtliches Engagement lässt. Digitale Tools werden auch zunehmend wichtig im Kontext der Einarbeitung internationaler Fachkräfte. Auch wenn Deutsch nicht deren Muttersprache ist, können sie mit Unterstützung solcher Tools leichter in Prozesse eingebunden werden.

Oft wird behauptet, dass vor allem ältere Beschäftigte die Sorge haben, dass Roboter oder KI-Anwendungen ihnen zukünftig die Arbeit wegnehmen. Wie sieht das aus Deiner Sicht die Jugend, deren berufliche Zukunft davon ja viel stärker betroffen sein wird?

Laura Staudacher: Das habe ich tatsächlich bisher noch nicht so wahrgenommen, und es ist tatsächlich auch eine irrationale Sorge. Wir sehen ja, dass neue und teilweise sogar mehr Jobs durch die Disruption der Arbeitswelt entstehen. Klar gibt es auch Berufsbilder, insbesondere im Niedriglohnsektor, die zukünftig von Maschinen oder Technologien übernommen werden. Gerade deshalb sehe ich hier aber auch eine große Chance, dass wir Menschen in Zeiten des Fachkräftemangels auf Stellen qualifizieren, die durch Technologie nicht ersetzt werden können. Mein Eindruck ist, dass junge Menschen sich aktuell der Marktsituation sehr bewusst sind. Sie wissen genau, dass sie als Arbeitnehmer eine knappe Ressource sind und treten sehr selbstbewusst auf dem Arbeitsmarkt auf.

Die Generation Alpha wird auch ganz anders mit KI umgehen. Sie sammeln mit deren Nutzung bereits jetzt erste Erfahrungen in der Schule. Hier liegt aus meiner Sicht noch viel ungenutztes Potenzial. Eine Lehrkraft kann 30 Lernende nicht individuell betreuen. Aber mit Unterstützung von KI-Lösungen könnten Lernprozesse individueller gestaltet werden.

Du stammst aus der Lausitz und bist nach einem Studium in Dresden in Deine Heimat zurückgekehrt. Trotzdem arbeitest Du nicht in der Region, sondern in der Hauptstadt. Wie gelingt Dir der Spagat zwischen Großstadt und ländlichem Raum?

Laura Staudacher: Sicher ist das kein Modell, was für alle geeignet ist. Ich pendle zwar aus der Lausitz nach Berlin, arbeite aber mehrfach pro Woche aus dem Homeoffice. Ich halte es für sehr wichtig, dass der schnelle Anschluss der Lausitz auf Schiene und Straße weiter ausgebaut wird. Ich glaube, viele junge Menschen mögen das Leben auf dem Land, und zwar nicht nur, weil die Kauf- und Mietpreise niedriger sind, sondern auch, weil es echt entspannt ist und viel Raum zur freien Entfaltung lässt.

Bei einer Umfrage unter Lausitzer Jugendlichen hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund Anfang des Jahres ermittelt, dass zwar drei von vier Personen die Lausitz für attraktiv halten, aber nur 50% in der Region bleiben möchten. Woran liegt das aus Deiner Sicht?

Laura Staudacher: Wir nehmen das auch stark wahr, dass viele junge Menschen nach dem Schulabschluss erst einmal wegwollen. Das ist aus meiner Sicht sogar gut. Sie erhalten neue Impulse, qualifizieren sich anderswo und, so unsere Hoffnung, kommen dann zurück in die Heimat als weltoffene, progressive und gut qualifizierte Fachkräfte, die hier etwas aufbauen.

Interessant wäre ein Vergleich mit anderen ländlichen Regionen in Deutschland, insbesondere, was die Rückkehrquote betrifft. Denn ich denke, dass der Wegzug von jungen Menschen nach dem Schulabschluss aus den genannten Gründen in allen ländlichen Regionen ein Thema ist.

Der Tourismus ist bereits Teil des Wandels und hat es geschafft, sich positiv zu positionieren. Nun sollen Industrie und Wirtschaft, aber vor allem Technologie und junge Unternehmen folgen. Wie bewertest Du die aktuelle Entwicklung und was hältst Du für notwendig, um den Wandel hin zu einer Wirtschafts- und Wissenschaftsregion mit einer dynamischen Startup-Szene langfristig zu schaffen und zu sichern?

Laura Staudacher: Aus meiner Sicht ist das ein absolut wichtiges Thema und eine große Aufgabe für uns alle, viel mehr jungen Menschen Lust darauf zu machen, sich selbst etwas aufzubauen. Da denke ich gar nicht so sehr an Technologie-Startups, das kann zum Beispiel auch ein Café oder ein Handwerksunternehmen sein. Klar ist es für Startups interessant, in Berlin zu sein, dort sitzt das Kapital, dort sind die Netzwerke, die sie unterstützen. Eine Lösung könnten regionale Venture Capital Fonds sein, also zum Beispiel ein Lausitz Fonds, in den Unternehmen Geld geben, um Startkapital für junge Unternehmen bereitzustellen, die das später zurückzahlen. Da sprechen wir auch gar nicht über mehrstellige Millionenbeträge, sondern viel kleinere Summen, vielleicht 20.000 oder 50.000 Euro, die es für eine Unternehmensgründung oder -skalierung braucht.

Zudem muss man strategisch schauen, was die Kommunen anbieten und was Startups benötigen. Es gibt zum Beispiel Platz für Produktion. Hier könnten sich die Kommunen auf den Weg machen und ihre Flächen anbieten, die im Vergleich zu Berlin wesentlich günstiger sind.

Und dann braucht es für Ansiedlungen natürlich auch Fachkräfte – umso wichtiger ist die Aufgabe, junge Menschen hier zu halten oder nach der Ausbildung zurückzuholen.

Du hast das Netzwerk „Junge Lausitz“ gegründet, um „den Strukturwandel im Osten wachzuküssen“. Warum schläft der Prinz noch?

Laura Staudacher: Tatsächlich spreche ich da vor allem für die brandenburgische Seite, da haben wir ja schon mehr Erfahrungen gemacht. An sich ist der Prozess gut gedacht. Ich sehe hier eine große Chance für eine Region. Kohle ist ein endlicher Rohstoff. Es war also sowieso klar, dass sie irgendwann nicht mehr zur Verfügung steht, beziehungsweise die Förderung unwirtschaftlich wird. In so einer Situation zu sagen, wir legen das Ende in einem Kompromiss politisch fest, stellen der Region aber mehrere Milliarden an die Hand, damit sie sich selbst in einem partizipativen Prozess weiterentwickeln kann, bietet tolle Potenziale. Was es aus meiner Sicht aber braucht, ist noch mehr Klarheit für die Zivilgesellschaft, wo sie sich mit Ideen und Feedback einbringen kann. Wir wissen, dass nur ein Bruchteil von dem, was die Politik kommuniziert, bei den Bürgerinnen und Bürgern überhaupt ankommt. Als Netzwerk versuchen wir, hier Mittler und Ansprechpartner für beide Seiten zu sein.

Wir haben das Glück, dass die junge Generation den ersten Strukturwandelprozess Anfang der 1990er-Jahre nicht miterlebt hat. Damals wurde viel versprochen und es gab viel Enttäuschung. Wir nehmen wahr, dass die junge Generation sich deshalb unbefangener mit dem aktuellen Wandel befasst und sich auf die Chancen der Mitgestaltung aktiver einlassen kann als vielleicht unsere Elterngeneration. Ich fürchte jedoch, dass die wenigsten bisher wissen, wie sie sich einbringen können. Das möchten wir gern ändern.

Dein Anliegen ist es, aus Cottbus ein „Heidelberg des Ostens“ zu machen. Wie willst Du dabei vorgehen und wann willst Du dieses Ziel erreicht haben?

Laura Staudacher: Meine Vision von Cottbus: eine anerkannte Unistadt in einer innovativen Region, quasi als Zentrum der Lausitz. Es gibt ein paar Städte, die ungefähr so groß sind wie Cottbus und bei jungen Menschen als Studienort sehr beliebt sind – zum Beispiel Heidelberg, aber auch Marburg oder Göttingen. Cottbus ist da bisher leider nicht dabei. Das soll sich ändern. Cottbus ist eine großartige Stadt zum Studieren. Im Umfeld gibt es viele spannende potenzielle Arbeitgeber. Das gleiche gilt auch für junge Menschen, die nicht studieren, sondern eine Ausbildung machen wollen. Dafür gilt es, jetzt die Weichen zu stellen.

Mit den angekündigten Großforschungszentren entstehen in der Lausitz modernste Einrichtungen, die hochqualifizierte Fachkräfte aus der ganzen Welt anlocken können. Wie gut ist die Lausitz darauf vorbereitet? Und wie offen sind die Menschen in der Lausitz für das Thema Zuwanderung?

Laura Staudacher: Klar gibt es die laute – wie ich glaube – Minderheit, die sagt, „wir sind uns hier selbst genug, wir brauchen niemanden“. Aber jeder, der sich ein wenig mit der Arbeitsmarktsituation beschäftigt, weiß, dass das überhaupt nicht stimmt und dass wir, wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, auf Zuwanderung in den Arbeitsmarkt angewiesen sind.

Ich wünsche mir eine Art weltoffenen Lokalpatriotismus. Dass die Menschen in der Lausitz sagen: „Hier ist es total schön. Deshalb möchten wir, dass mehr Menschen herkommen“. Viele Unternehmen sind leider noch nicht so weit, es fehlt zum Beispiel die Offenheit für englischsprachige Beschäftigte. Je schwieriger die Suche nach Auszubildenden und Fachkräften wird, umso mehr werden Unternehmen sich öffnen müssen. Große Arbeitgeber in der Region machen das ja auch jetzt schon.

Ihr habt einen Forderungskatalog erarbeitet – was steht da drin?

Laura Staudacher: Wir haben fünf konkrete Ideen für den Strukturwandel formuliert. Zum Beispiel für einen Ausbildungscampus für berufliche Ausbildung in der Lausitz, möglichst in der Nähe einer Hochschule, damit eine stärkere Verzahnung zwischen Theorie und Praxis möglich ist. Hier sollten auch neue Ausbildungsberufe eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel für „grüne Berufe“, also Jobs in Zukunftsbranchen wie der Herstellung von Wasserstoff. Diese und die weiteren Ideen stellen wir auf unserer Website ausführlich vor und diskutieren sie mit Entscheidungsträgern, Vertretern der öffentlichen Verwaltung und jungen Menschen aus der Region.

Was wir aber auch unbedingt brauchen, sind Rahmenbedingungen, unter denen junges Leben in der Region möglich ist. Das ist keine spezielle Strukturwandelthematik. Es geht dabei um so banale Fragen wie: “Komme ich nach einer Party mitten in der Nacht auch wieder sicher nach Hause?”. Außerdem brauchen wir Wohnraum für junge Menschen, zum Beispiel Bauland für junge Familien und bildungsbezogenen Wohnraum für Azubis und Studierende, der WG-tauglich ist.

Welche konkreten Tipps hast Du für Unternehmen in der Lausitz?

Laura Staudacher: Sie müssen sich der Realität des Arbeitsmarktes stellen. Zu viele sind noch zu stark in der Vergangenheit verhaftet, als sie noch 50 Bewerbungen auf eine freie Stelle erhalten haben. Es ist wichtig, an der eigenen Attraktivität zu arbeiten. Ich weiß, dass nicht jedes Unternehmen das über ein hohes Gehalt lösen kann. Aber es gibt auch andere Faktoren, zum Beispiel Aufstiegschancen oder sogar die Perspektive der Unternehmensnachfolge, die eine Stelle attraktiv machen. Und es braucht Mut, um zum Beispiel digitales Arbeiten oder neue Arbeitszeitmodelle auszuprobieren, zum Beispiel eine Viertage-Woche mit jeweils neun oder zehn Stunden.

Liebe Laura, vielen Dank, dass Du Dir Zeit für ein Gespräch genommen hast!

Im Gespräch mit Laura Staudacher: Katrin Meusinger, Silicon Saxony e.V., PAL-Netzwerkpartner

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Autor / Autorin

  • Leiterin des Fachbereichs HR & Education des Branchen-Netzwerks Silicon Saxony e.V.; Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit im PAL-Projekt

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