Im Stahlwerk Freital entsteht aus altem neuer Stahl
1.700 Grad warm ist es in den Öfen, die gerade Stahl schmelzen und an einer kleinen Luke stieben Funken, als ob 100 Stromkabel gleichzeitig einen Kurzschluss haben. Knapp 50 Tonnen werden gleichzeitig in einem Lichtbogenofen (LBO) geschmolzen, das „Rühren“ erfolgt mit Hilfe von Edelgasen, erklärt uns Torsten Ritschel. Der 51-jährige ist stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der BGH Edelstahl Freital GmbH. Hier wird seit 1857 bis auf wenige kurze Unterbrechungen – durch eine Flut nur drei Jahre nach Unternehmensgründung, Einschränkungen durch die Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre und eine komplette Demontage im Rahmen von Reparationszahlungen an die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg – Stahl geschmolzen, heute im Gegensatz zu früher nicht mehr aus Erzen, sondern aus Elektroschrott.
Vertreter und Vertreterinnen des PAL-Konsortiums besuchten am 23. September 2024 das Werk in Freital, um sich im Rahmen des PAL-Projektes über das mittelständische Unternehmen zu informieren, aus dessen Produkten eine Vielzahl von Stahlteilen gefertigt werden, die im Handwerk, der Medizintechnik, der Heizwerktechnik und sogar in der Raumfahrt als Heizleiter zum Einsatz kommen.
Bei einem Rundgang über das Betriebsgelände, das sich neben einem Wohngebiet befindet und mehr als 76 ha Fläche umfasst, erhielten die Forschenden von der Hochschule Mittweida und der BTU Cottbus sowie die Netzwerkenden des BSW und Silicon Saxony Einblicke in die verschiedenen Produktionsschritte. Vom Schrottplatz, auf dem die Vorbereitung des Materials erfolgt über den Schmelzprozess und die Beigabe verschiedener Legierungselemente, je nachdem, was der Kunde bestellt hat, zu Block- oder Strangguss bis hin zur anschließenden Fertigung von Draht oder Stäben, die auf verschiedene Maße verschlankt und ggf. auch geschält werden – „tausende Handgriffe sind notwendig, bis der Kunde sein Endprodukt in der Hand hält“, so Torsten Ritschel. Einige davon erfolgen inzwischen automatisiert, für andere ist das Unternehmen im Gespräch mit Forschungsinstituten und Hochschulen, um Automatisierungspotenziale zu prüfen und damit die aktuell 760 Beschäftigten, darunter 47 Auszubildende, insbesondere bei den körperlich besonders anstrengenden Tätigkeiten zu entlasten.
Selbst auf der Brücke spürt man, wie heiß das darunter transportierte Stahl ist
Im Werk selbst werden Drähte bis zu einem Durchmesser von 5 Millimetern gefertigt. Das Schwesterunternehmen BGH Edelstahl Lugau GmbH kann bei Bedarf noch weiter verschlanken – auf 0,8 Millimeter. Im Tochterunternehmen von Lugau, der BGH Feindraht, werden die Drähte dann noch weiter auf 0,08 mm gezogen, also dünner als ein Menschenhaar.
Das Elektrostahlwerk gehört seit 1993 zur eigentümergeführten BGH-Gruppe, seitdem wurde kontinuierlich in die Modernisierung des Standorts investiert und eine neue, 300 Meter lange Werkhalle gebaut. Die staatliche Förderung der Stahlindustrie gilt nicht für Elektrostahlwerke wie das in Freital, erklärt Ritschel. Damit verbundene Fragen zu den aktuell hohen Energiekosten und zukünftigen Versorgung bereiten damit einiges Kopfzerbrechen. Was den CO2-Ausstoß betrifft, so sei man bereits um 75% besser als die großen Stahlwerke. Und auch generell gilt: Stahl gehört zu den nachhaltigen Rohstoffen, denn er kann immer wieder eingeschmolzen und in anderer Form verwendet werden. In Freital entstehen so pro Jahr ca. 100.000 Tonnen Stahl. Jeder fertig produzierte Stab, jeder Draht, wird am Ende der Produktion einer individuellen Qualitätskontrolle unterzogen.
Für die PAL-Forschenden waren der Rundgang und der detaillierte Austausch mit Betriebsrat Torsten Ritschel sehr spannend, insbesondere im Kontext der Ideenentwicklung für zukünftige Kooperationen, sowohl bzgl. bereits in PAL entwickelter Lösungen als auch Potenzialen für neue Projekte.
Draht wird in unterschiedlichsten Stärken gezogen, je nachdem, welche Maße der Kunde wünscht. Die Mindestabnahmemenge liegt bei zwei Tonnen.
Fotos: Katrin Meusinger, Friederike Wittenburg